„1000 in 1?“ – Dentale Laser und Leitlinien
Nach dem der Corona Pandemie geschuldeten Ausfall des DGL Jahreskongresses 2020 in Bremen, fand der 29. DGL-Jahreskongress am 27.11.2021 in Aachen unter dem Thema „1000 in 1? – Dentale Laser und Leitlinien“ als Hybrid-Veranstaltung (Präsenz/Online) statt.
Bei im Herbst 2021 erneut stark steigenden Corona-Inzidenzwerten war die Durchführung des Kongresses bis kurz vor Beginn gefährdet. Dank des engagierten Einsatzes des Kongresspräsidenten Prof. Braun und des Vorstands der DGL gelang es aber, die Veranstaltung mit einem sorgfältig strukturierten Hygienekonzept plangemäß durchzuführen. Dies allein muss bereits als Erfolg gewertet werden.
Die gewählte Kongressthematik stand unter anderem im Zeichen der jüngst erschienenen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) und des sich hieraus ergebenden Spannungsfeldes für den Einsatz dentaler Laser.
Die Frage, welche Auswirkungen und Konsequenzen solche Leitlinien für dentale Laser haben, ist gerade wegen der Vielfalt der Laserwellenlängen („1000“ verschiedene Wellenlängen), Leistungseinstellungen und Behandlungsstrategien von großer Wichtigkeit.
In seiner Eröffnungsansprache wies Prof. Braun (Abb. 1,2) deshalb auf die jüngste Leitlinienproblematik in Zusammenhang mit der Publikation der S3 DG Paro.Leitlinie hin. „Wenn wir Leitlinien lesen, müssen wir u. a. die Ein-, Ausschluss- und Erfolgskriterien für diese Leitlinien beachten und bewerten“ – Prof. Braun führte hier ein prägnantes, hypothetisches Beispiel an: „Wenn wir eine einmalige, vollständige Zahnsteinentfernung, z.B. mit Ultraschallgeräten, durchführen und als Erfolgskriterium die Zahnsteinanheftung nach einem Jahr definieren, so werden wir dann höchstwahrscheinlich erneut Zahnstein vorfinden und würden damit die durchgeführte Zahnsteinentfernung mit Ultraschallgeräten als ineffektiv beurteilen müssen“.
Sicherlich wäre diese Schlussfolgerung fachlich fragwürdig , sie macht aber deutlich, wie die in Leitlinien definierten Ein-, Ausschluss- und Erfolgskriterien zur Bewertungsverzerrung einer an und für sich effektiven Therapie führen können – was allerdings auch den Lasereinsatz betreffen könnte.
Ziel der aktuellen Jahrestagung war es deshalb, die Leitlinienproblematik bei der Laseranwendung genauer zu beleuchten. Rechtliche Aspekte, z.B. die Differenzierung zwischen Leitlinien und Richtlinien und nicht zuletzt ihre Auswirkung auf Abrechnungsfragen wurden erörtert. Daneben sollten natürlich auch aktuelle Entwicklungen der Laserzahnheilkunde zur Sprache kommen.
Folgerichtig wurde zunächst eine Einführung in die Leitlinienproblematik durch Frau Dr. C. Muche-Borowski in Vertretung für Frau Dr. A. Weber von der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) unter dem Titel „Leitlinien nutzen? Leitlinien nützen“ gegeben.
Die Referentin gab einen strukturierten Überblick über die Arbeitsweise der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF). Dargestellt wurden die unterschiedlichen Ebenen der Leitlinien (S1-S3), ihre Sublevel und ihre Relevanz für Therapieentscheidungen. Insgesamt handelt es sich bei der Leitlinienerstellung um einen hochstrukturierten, von den Mitwirkenden möglichst exakt über ein Regelwerk zu definierenden Prozess. Leitlinien sollen auch Instrumente der Qualitätssicherung und Förderung der Qualität sein. Ein Hilfswerkzeug ist das so genannte PICO-Schema (Population-Intervention-Comparison-Outcome), dass in der evidenzbasierten Medizin dazu genutzt wird, die Formulierung einer recherchierbaren Fragestellung möglichst übersichtlich für den Behandler aufzubereiten.
Derzeit existieren rund 800 Leitlinien der AWMF, die nach Möglichkeit in 5-jährigem Rhythmus aktualisiert oder neu erstellt werden sollten. Nicht immer ist dies zeitgerecht möglich.
Kontrovers wurde im Anschluss an das Referat z.B. die Frage diskutiert, ob bei der Leitlinienerstellung nicht auch Kostenerstatter oder Krankenversicherungen stärker mit einbezogen werden sollten.
Dieser Aspekt leitete zum Folgereferat der Rechtsanwältin Frau Dr. Susanne Zentai/Köln über, die zum Thema „Abrechnung/rechtliche Grundlagen“ dentaler Lasertherapien berichtete. Dr. Zentai machte zunächst die Unterschiede zwischen medizinisch notwendiger bzw. vertretbarer Behandlung deutlich, wobei der Vertretbarkeit nicht zwangsläufig wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zugrunde liegen müssen. Leitlinien seien einerseits wichtig, andererseits aber auch nur als „Entscheidungskorridore“ zu verstehen, von denen in begründeteten Einzelfällen abgewichen werden könne oder sogar müsse.
Wichtig war der Referentin der Hinweis, dass Leitlinien in Abrechnungsfragen zwar eine gewisse „Eigendynamik“ entwickeln, aber per se rechtlich nicht bindend seien.
Sowohl Dr Zentai als auch der Co-Referent Dr. D. Klotz/Duisburg wiesen auf den wichtigen Unterschied zwischen Leitlinien (nicht bindend) und Richtlinien (rechtlich bindend) hin. Leitlinien haben weder haftungsbefreiende noch haftungsbegründende Wirkung. Gegenwärtig bestehen offensichtlich dennoch zahlreiche strittige Erstattungsverfahren gerade mit den privaten Krankenversicherungen über den Einsatz dentaler Lasersysteme. Die Empfehlung von Frau Dr. Zentai lautete hier: „nicht einknicken – konsequent bleiben“ und auf Kostenerstattung beim gerechtfertigten Lasereinsatz bestehen. Dr. Klotz ergänzte in diesem Zusammenhang, dass bei der Abrechnung von Laserleistungen ein entsprechender Katalog an Unterlagen im DGL-Sekretariat (Frau Speck) verfügbar sei und ggf. dort angefordert werden kann. Dr. Zentai gab zusammenfassend eine rechtliche Einschätzung des dentalen Lasereinsatzes vor dem Hintergrund der AWMF Leitlinien und empfahl, dass früher oder später ebenfalls eigenständige Leitlinien entwickelt werden müssen.
Die Nachmittagssitzung stand unter dem Hauptthema der Systematik nicht-chirurgischer Parodontaltherapien und der Rolle dentaler Laser. Eingeleitet wurde der Nachmittagsteil durch ein gemeinsames Referat von Frau PD Dr. P.-M. Jervøe-Storm und Herrn PD Dr. J. Meister (Abb. 3,4), beide UK Bonn, zum Thema „Evidenzbasierte Anwendungen der aPDT in der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie“. Hierbei handelt es sich um die antimikrobielle photodynamische Therapie als alternative Therapiemöglichkeit zur konventionellen systemischen Antibiose, bei der als Gefahr stets die Entstehung von Resistenzen besteht.
Beeindruckend im Referat war die systematische „step by step“ Planung und Durchführung der laserunterstützen Parodontitistherapie, die dennoch den Leitlinien der DG Paro folgt. Als Beispiel sei hier die Aktivierung des Photosensitizers Curcurmin mit blauem Laserlicht (z.B. 460nm LED) genannt. Begleitend zu dieser Darstellung wurde in der Diskussion der Vergleich der eigenen Ergebnisse mit einer Metaanalyse der Cochrane Bibliothek/Datenbank gegeben. Erschwerend für die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Behandlungen ist die Tatsache, dass bei den unterschiedlichen photodynamischen Therapieverfahren eine zum Teil verwirrende Nomenklatur herrscht. Die Referenten favorisieren deshalb eindeutig den Begriff „aPDT“ für antimikrobielle photodynamische Therapie.
Der sich anschließende Vortrag von Frau Prof. Dr. N. Arweiler/Marburg griff den Gedanken der adjuvanten parodontalen Therapie auf und gab eine hervorragende Übersicht zu den unterschiedlichen adjuvanten parodontalen Therapieverfahren im Rahmen des so genannten „Biofilm Managements“. Hierbei wurden im Referat der Einsatz von Laser, der systemischen Antibiotikatherapie, der topischen Antibiotikatherapie (z.B. CHX-Chip), der photodynamischen Therapie und der oral verabreichten Antibiotikacocktails kritisch diskutiert. Voraussetzung aller Therapien ist stets eine sorgfältige subgingivale Reinigung und Instrumentierung, wobei sich die adjuvanten Therapien anschließen können. Die Referentin wies ausdrücklich auf den Stellenwert des Lasers in der adjuvanten Therapie und hier speziell auch auf die photodynamische Therapie hin. Gerade diese sieht sie zukünftig in einem verstärkten Einsatz.
Die Referenten Dr. T. Kleinert/Berlin und ZA O. Oberhofer, M.Sc./Erwitte (Abb. 5) vertieften die Gedanken der Vorreferentin im Hinblick auf die Laseranwendung in der Parodontaltherapie anhand zahlreicher klinischer Falldarstellungen.
Auch die aktuelle S3 Parodontal Leitlinie der DG Paro wurde aufgegriffen und deutlich gemacht, dass diese Leitlinie dem breiten Spektrum unterschiedlicher Wellenlängen des Lasers mit diversen Indikationsgebieten aus ihrer Sicht wenig gerecht wird. Es wurde betont, dass mittlerweile 30 Jahre erfolgreicher Laseranwendung in zahnärztlichen Praxen und natürlich auch in der Parodontologie vorlägen. Die Referenten unterstrichen dies mit zahlreichen eigenen klinischen Anwendungsbeispielen aus ihrer langjährigen Praxis. Kleinert und Oberhofer machten deutlich, dass die laserunterstützte Parodontaltherapie genauso sinnvoll für die Behandlung von verbliebenen Taschen sei, wie die minimal invasive Therapie ohne Lappentechnik. Insbesondere zeige die mit dem Erbium-YAG-Laser unterstützte, umfassende Taschentherapie eine hohe klinische Relevanz bei der Reduktion und Erforderlichkeit weiterer parodontalchirurgischer Therapien. Der Vorteil des Lasers in der Parodontalbehandlung sei eindeutig die Nichtzerstörung der Wurzeloberfläche bei gleichzeitiger lokaler bakterizider Wirkung.
Mit dem Folgevortrag von Herrn Prof. Dr. C. Gernhardt/Halle (Abb. 6) wurde die Thematik der laserunterstützten Parodontaltherapie verlassen und der Lasereinsatz in den Desinfektionsprotokollen der Endodontiebehandlung diskutiert. Der Autor beschäftigte sich kritisch mit der Frage, welche Rolle der Laser hier mittlerweile spielt.
Prof. Gernhardt sieht dabei durchaus eine wichtige Rolle für den Lasereinsatz in der Endodontie, der deutlich über die thermische Wirkung des Lasers bei der Wurzelkanalbehandlung hinausgeht und das oben bereits erwähnte aPDT Verfahren. Als wichtig und zukunftsträchtig sieht er aber auch die laseraktivierte Spülung der Wurzelkanäle oder die photonenindizierte photoakustische Schockwelle zur Kanalreinigung an. Eindrucksvoll demonstrierte er hierbei das anatomisch komplexe Wurzelkanalsystem von Molaren, in dem gerade der Laser seiner Vorteile bei der endodontischen Behandlung ausspielen kann. Weitere Studien zum Einsatz des Lasers in der Endodontie sind aus seiner Sicht dringend erforderlich, aber auch erfolgversprechend.
Das Thema der unterschiedlichen Verfahren in der Desinfektion von Wurzelkanalsystemen wurde durch Dr. J.-S. Wenzler/Aachen (Abb. 7,8) fortgeführt mit dem Ziel, Innovationen kritisch zu überprüfen. Zwei aktuelle Studien zur Smearlayer Entfernung und Keimabtötung im Wurzelkanal wurden hierzu vorgestellt. Dr. Wenzler konnte dabei deutliche Vorteile in einer Kombinationsbehandlung aus Natriumhypochlorit und Laser gegenüber konventionellen Desinfektionsverfahren herausarbeiten.
Auch die Tiefenpenetration des Lasers zeigte in einer in vitro Studie die deutliche Überlegenheit gegenüber anderen Verfahren. Auch von diesem Referenten wurde auf die Bedeutung so genannter SWEEPS und PIPS Techniken von Erbium-YAG-Lasersystemen bei der Reinigung und Tiefenpenetration von Wurzelkanalsystemen hingewiesen (PIPS: Photon Induced Photoacoustic Streaming; SWEEPS: Shock Wave Enhanced Emission Photoacoustic Streaming).
Der abschließende Vortrag von Frau Dr. R. Schulte-Lünzum, M. Sc./Stolberg musste wegen Erkrankung der Referentin ausfallen. Stattdessen berichtete der DGL Vizepräsident Dr. D. Klotz/Duisburg (Abb. 9) über rasterelektronische Untersuchungen zur Wurzelkanalanatomie und -oberfläche und präsentierte zahlreiche erfolgreiche klinische Falldarstellungen laserunterstützter endodontischer Therapien – selbst bei zuvor erfolgloser konventioneller Wurzelkanalbehandlung konnten Erfolgsraten von ca. 82% erreicht werden. Beeindruckend waren die vorgestellten Hochgeschwindigkeitsaufnahmen des Effektes von ultrakurzen Laserpulsen im Wurzelkanalmodell beim Einsatz unterschiedlicher Faserspitzen des Morita AdvErl EVO-Lasersystems.
Zusammenfassend gelang es den Veranstaltern, einen großen Bogen, beginnend mit der Bedeutung und kritischen Diskussion von Leitlinien hin über rechtliche Aspekte des Lasereinsatzes und schließlich weiter zum klinischen Lasereinsatz in der Parodontaltherapie oder der endodontischen Behandlung zu spannen.
Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dentaler Lasersysteme ergeben sich durch ihre unterschiedlichen Wellenlängen und der hierdurch bedingten unterschiedlichen Indikationsgebiete. Insofern gibt es nicht „den“ dentalen Laser, der alle Aufgabengebiete gleich gut bearbeiten kann. Die differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Lasersysteme ist deshalb zukünftig bei der Leitlinienerstellung der verschiedenen DGZMK Fachgesellschaften von großer Bedeutung.
Die DGL – als ordentliche Fachgesellschaft der DKZMK – sollte bei der Planung von Leitlinien stets mit einbezogen werden. Insofern ist das Statement von Dr. Wenzler/Aachen wegweisend, dass Therapieempfehlungen, die sich aus Leitlinien ergeben, nur so gut sein können wie die ihnen zugrunde liegenden Suchstrategien. Damit wurde zum Abschluss des Kongresstages das von Prof. Braun eingangs zitierte, prägnante Beispiel der „Zahnsteinentfernung“, d.h. die kritische Auseinandersetzung mit den Leitlinien zugrunde liegenden Zielkriterien, wieder aufgegriffen.
Prof. Dr. Dr. S. Jänicke, Generalsekretär der DGL